Blog Wiener Würstchen Simulation

Warum platzen Wiener Würstchen immer in Längsrichtung? Mysterien des Alltags

14.08.2018, Experten-Meinung

Eine theoretische Betrachtung mit SOLIDWORKS Simulation.

Wussten Sie, dass das Wiener Würstchen in Wien „Frankfurter Würstchen“ heißt?

Und das kommt so: Nach Beendigung seiner Lehre zum Metzger wanderte Johann Georg Lahner (1772–1845) von Frankfurt nach Wien aus und brachte sein Rezept für Frankfurter Würstchen mit. Während in Frankfurt Schweine- und Rinder-Metzgereien noch streng getrennt waren, gab es diese Trennung in Wien schon nicht mehr, was ihm erlaubte, in seiner leicht geänderten Rezeptur auch Rindfleisch zu verwenden. Die Würstchen wurden ein Verkaufsschlager und bekamen in Wien auf Grund der Ähnlichkeit der Rezeptur den Namen „Frankfurter Würstchen“, in Deutschland allerdings umgekehrt „Wiener Würstchen“.

 

Wenn Sie schon mal Wiener Würstchen zubereitet haben, kennen Sie das: Wenn es schlecht läuft, platzen die Würstchen auf. Und immer in Längsrichtung, nie quer.

Wie kommt das?

 

Würstchen mit Senf

 

Warum platzen die Würstchen immer längs und nie quer?

Eine schöne Fragestellung für eine Simulation, eine recht einfache noch dazu.

Normalerweise verwenden wir die FEM-Simulation, wenn das System zu komplex ist, um es formelmäßig zu behandeln. Dieses System ist tatsächlich nicht sehr komplex, es gibt eine sehr einfache theoretisch exakte Möglichkeit der Berechnung. Doch dazu später mehr.

 

Simulation bedeutet, eine Rechnung an einem Modell durchzuführen, welches das reale System hinreichend genau abbildet. Aber wie bilde ich ein System ab, von dem ich so gut wie gar nichts weiß? Ehrlich gesagt, wenn Sie in Ihrem Arbeitsalltag ein Modell ernsthaft berechnen wollen, kommen Sie nicht sehr weit, wenn Sie die Umstände nicht genau definieren können. In diesem Sonderfall können wir aber schon rechnen.

 

Und das liegt daran: Die Frage lautet schlicht “Warum platzt das Würstchen längs auf?”, nicht etwa “bei welcher Temperatur, nach welcher Zeit?” usw. Es ist schlicht eine theoretische Überlegung, ich gedenke nicht, ernsthafte Werte daraus abzuleiten.

Die Arbeitsschritte zur Simulation sind immer dieselben:

  • Modell erstellen und Werkstoffe zuweisen
  • Lager und Kräfte antragen
  • Vernetzen
  • Simulieren und die Ergebnisse interpretieren.

 

Here we go!

 

Modell und Werkstoffe – maximale Vereinfachung.

Ein einzelnes Wienerle ist ja aus SOLIDWORKS-Sicht eine Baugruppe bestehend aus zwei Teilen, nämlich dem Wurstbrät und der Pelle. Die Wurst-Baugruppe schwimmt in einem Topf voll heißem Wasser. Das könnte in etwa so aussehen:

 

Würstchen im Topf mit Wasser

 

Ich trenne mich also von allem, was nicht unbedingt nötig ist: auf Herdplatte, Topf und Wasser kann ich verzichten. Ich begnüge mich mit der Annahme, dass die Herdplatte über den Topf das Wasser erhitzt und kann für meine Rechnung auch annehmen, dass das heiße Wasser mein Würstchen gleichmäßig erhitzt (was in Wirklichkeit nicht so ist). Es bleibt nur die Wurst-Baugruppe übrig.

 

Es passiert jetzt also folgendes: Auf Grund der Wärmeeinwirkung dehnen sich Wurstbrät und Wurstpelle aus, das Wurstbrät offensichtlich stärker, denn deswegen platzt die Pelle ja. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wie so die Wärmeausdehnungskoeffizienten von Wurstpelle und Wurstbrät sind. Ich fürchte, dazu kann ich in der ansonsten sehr umfangreichen Materialdatenbank von SOLIDWORKS nichts finden, und auch das Internet hilft hier nicht weiter. Sollte jemand von Ihnen diese Parameter kennen, dürfen Sie mir gerne schreiben.

 

Mit dem Wissen, was dem Würstchen passiert und völliger Ahnungslosigkeit der Werkstoffparameter trenne ich mich an dieser Stelle von dem Wurstbrät und begnüge mich damit, dass offensichtlich ein gleichmäßiger Druck von innen auf die Wurstpelle einwirkt – so werde ich das im nächsten Arbeitsschritt verwenden. Für die Wurstpelle verwende ich Gummi aus der Materialdatenbank (nicht lecker…).

 

Und damit habe ich dann auch das endgültige, sehr einfache, Modell gefunden: Die Wurstpelle reicht völlig aus. Für dieses theoretische Beispiel habe ich die Wurstpelle sehr dick gemacht. Würde man so nicht essen wollen, hat aber den Vorteil, dass man später mehr daran sehen kann. Nicht vergessen: Es interessiert nur das “Warum?”, sonst nichts.

Das Versuchsmodell sieht unter dem Strich dann so aus:

 

SOLIDWORKS Wurst-Baugruppe

 

Kräfte und Lagerung.

Und es geht fröhlich weiter mit Vereinfachungen. Wie schon gebeichtet, kenne ich den Druck, den das Wurstbrät ausübt nicht. Ich setzte ihn einfach mit 1 N/m2 an.

 

Wurst-Baugruppe: Kräfte und Lagerung

 

Die Lagerung ist speziell: Das Würstchen im Wasser ist ja gar nicht gelagert. Ganz im Gegenteil, es schwimmt frei im Wasser. Für die Simulation setze ich in den Studien-Eigenschaften die Option „Massenträgheitsentlastung“, da der Druck in alle Richtungen gleichgroß ist und dadurch das Würstchen in Position gehalten wird.

 

Vernetzung und Simulation.

Ich vernetze mein Modell mit den von SOLIDWORKS Simulation vorgeschlagenen Parametern, aber als Schalen (bietet sich bei diesem Modell an und rechnet schneller) und starte auch unmittelbar mit der Simulation.

 

Ergebnisse interpretieren.

SOLIDWORKS meldet sich nach wenigen Augenblicken bereits mit den ersten Ergebnissen. Das sind aber noch nicht die Ergebnisse, aus denen ich besonders schlau werde. Deswegen erzeuge ich mir noch weitere Auswertungen, nämlich die Spannungen in Achsrichtung (z) und in tangentialer Richtung (y). Für beide Studien passe ich noch die Skalen an, so dass Sie für beide Studien gleich sind.

 

SOLIDWORKS Wurst-Baugruppe: Spannung axial

Spannungen axial

SOLIDWORKS Wurst-Baugruppe: Spannung tangential

Spannungen tangential

 

Wichtig ist, daran zu denken, dass die Messwerte selbst keinen Pfifferling wert sind, da ich keine meiner Eingangsgrößen beziffern konnte und extrem vereinfacht habe. Die Studie beantwortet wunderbar unsere Ausgangsfrage:

 

Warum platzt die Wurst quer?

Weil die Spannung tangential doppelt so groß ist, wie die Spannung axial!

 

Ich kann das weiter präzisieren, wenn ich mit der Funktion „Sondieren“ genaue Werte an der zylindrischen Oberfläche abnehme:

 

SOLIDWORKS Wurst-Baugruppe: Sondierung axial

Ergebnis der Sondierung axial

SOLIDWORKS Wurst-Baugruppe: Sondierung tangential

Ergebnis der Sondierung tangential

 

Theoretisch exakte Herleitung des Phänomens.

Wie zuvor schon erwähnt, ist dies eine recht einfache Rechnung, die man vergleichsweise bequem auch von Hand ausführen könnte. Eine prima Erklärung zu dem Phänomen gibt es im Internet unter www.wurstakademie.com, hier nur eine kurze Zusammenfassung:

 

Spannung Wursthaut axial

Spannung in der Wursthaut axial

Spannung Wursthaut tangential

Spannung in der Wursthaut tangential

 

Theorie: Berechnung

Theoretische Berechnung

 

Und das deckt sich ziemlich genau mit dem, was SOLIDWORKS Simulation ermittelt hat!

Übrigens sieht man an der theoretischen Herleitung, dass es rechtens war, zahlreiche Parameter wie Wärmeausdehnungskoeffizient etc. zu vernachlässigen. Die spielen in der Rechnung nämlich – bei dieser Fragestellung – tatsächlich keine Rolle. Außerdem sieht man, dass das Phänomen natürlich nicht nur Wiener Würstchen betrifft, sondern auch Frankfurter – und alle anderen.

 

Und wie kann man das Platzen der Würstchen verhindern?

Das soeben erworbene Wissen über den Grund des Platzens hilft leider nur bedingt, um das Platzen zu verhindern. Stöbert man im Internet, finden sich ein paar Tipps:

 

  1. Die Würstchen nur im heißen Wasser ziehen lassen, nicht im kochenden Wasser. Das Wurstbrät dehnt sich mit steigender Temperatur aus und verursacht dadurch die Spannung, die später zum Platzen führt. Reduziert man die Temperatur und lässt stattdessen die Wiener etwas länger ziehen, vermindert sich das Risiko des Platzens.
  2. Dem Kochwasser etwas Salz zugeben. Bei der Pelle handelt es sich um eine sogenannte osmotische Membran, die es der Wurst und dem Wasser erlaubt, ihren Salzgehalt anzugleichen. Dabei dringt Wasser in die Wurst ein und erhöht den Druck. Ist der Salzgehalt in der Wurst und im Wasser ähnlich, findet dieser Austausch nicht statt und das Risiko des Platzens ist geringer.

 

Viel Spaß beim Würstchen kochen erwärmen!

Ich bedanke mich bei meinem Kollegen Christoph Keisker, Consultant in der Niederlassung Hamburg mit dem Themenschwerpunkt Simulation, der mir bei der Studie geholfen hat (Er hat nicht so schlecht dreingeschaut, als ich ihm sagte „Komm, wir wollen mal ein Würstchen simulieren“)!

 

Wenn Sie selber simulieren möchten, empfehle ich Ihnen unsere Schulungen zu SOLIDWORKS Simulation. Informationen zu den Inhalten und den Terminen finden Sie auf unserer Website.

 

 

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Quellen und Bildnachweise:
Wiener Würstchen: https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_W%C3%BCrstchen
Wurstakademie: http://www.wurstakademie.com/blog/physik-warum-platzt-wurst-immer-der-laenge-nach
Würstchen erwärmen: https://www.haushaltstipps.net/wuerstchen-kochen-so-machen-sie-es-richtig

Über den Autor

Stefanie Dieterich

Stefanie ist seit 1997 bei der Solidline tätig. Ihr Weg führte Sie über verschiedene Stationen zur Niederlassungsleitung in Hamburg. Sie hat eine fanatische Begeisterung für jegliche Sportart und natürlich für SOLIDWORKS.

Stefanie ist seit 1997 bei der Solidline tätig. Ihr Weg führte Sie über verschiedene Stationen zur Niederlassungsleitung in Hamburg. Sie hat eine fanatische Begeisterung für jegliche Sportart und natürlich für SOLIDWORKS.